Essay: Modell Zukunft – Für eine Technologie der Improvisation

Posted on Mai 1, 2007 in / Serial IFIT / Serial Publications

„Modell Zukunft – Für eine Technologie der Improvisation“, in: Wenken for Later, Nederland 2020-2040, Den Haag, 2007.

Modell Zukunft – Für eine Technologie der Improvisation

Improvisation ist ein Handlungsmodell zum konstruktiven Umgang mit Unordnung. Improvisation erkennt Unordnung an und versucht mit den Potentialen, die in einer Situation vorhanden sind, zu arbeiten. Improvisation bedeutet dann, mit den Materialien der Wirklichkeit zu arbeiten und gleichzeitig diese Wirklichkeit mit zu gestalten.

Damit ist kein anything goes gemeint. Eher geht es um eine Urteilskraft in real-time, die es uns ermöglicht, in Echtzeit Entscheidungen zu treffen und die Kriterien für Entscheidungen mit unseren jeweiligen Situationspartnern situationsspezifisch auszuhandeln. Das muss man üben und ausüben. Improvisation ist dann keine autonome Subjektivität, sondern funktioniert nur im intersubjektiv-performativen Umgang in einer “Geselligkeit” (Kant).

Bezogen auf die heutige gesellschaftliche Situation können wir eine Zunahme von Improvisation im Alltag konstatieren, da alte Ordnungsmuster immer obsoleter werden. Stadtplanung funktioniert nicht mehr, junge Menschen müssen sich ihren Beruf immer neu erfinden, Familien zerfallen in Patchworkstrukturen: unterschiedlichste Lebensentwürfe und Vernunftsprinzipien existieren nebeneinander. Das Provisorium kann nicht mehr als ein zu Bewältigendes gelesen werden, sondern wird zum status quo an sich.

Daraus folgt: was vorher kulturelles Nebenprodukt war, die Improvisation, wird zum Hauptprodukt gesellschaftlicher Gegenwart. Dies gilt es zu erkennen und als Potential, welches sich bereits in vielen Alltagssituationen befindet, nutzbar zu machen.

In einer Zeit verstärkter Expansion der Technokratie und dem damit einhergehenden Rückzug des Individuums vom Engagement in der Gesellschaft, könnte Improvisation als Therapeutikum dienen. Das Reparieren, Recyceln von beschädigten sozialen Beziehungen in einem kreativ-spielerischen Umgang ist dazu geeignet, einen praktischen Ort des Individuums und seiner intersubjektiven Entfaltung zu schaffen und zu sichern.

Wollen wir wissen wie es mit der urbanen Gesellschaft weitergeht, brauchen wir auch Mittel zur Beobachtung des Alltags. Und wenn es um Improvisation geht, ist es am besten mit Improvisation zu arbeiten. So wie die Künstlerin Ruth Hommelsheim, wenn sie sich durch die urbanen Räume der Jetztzeit bewegt und die Bewegungen seimographisch aufzeichnet und überlagert.