Performative Installation: Realoper

Posted on Mai 19, 2007 in / Serial Events / Serial IFIT

Die Eichbaumoper ist eine Realoper.

Eine Real-Oper ist ein mit musikalischen Mitteln gestaltetes Bühnenstück, das seine literarische Vorlage aus der Bioagraphizität der Mitspieler gewinnt. Dichtung, Gesangs- und Instrumentalmusik sowie Schauspiel- und Bewegungskunst wirken zusammen in einem Feld autobiographischer Vernetzungen.

Die Real-Oper ist ein offenes Kunst-Bündnis. Ansatzpunkt ist das Bekenntnis zum eigenen Nicht-Scheitern oder auch Scheitern, statt auf Handlungsangebote von Heilsbringern der Kunstpolitik zu setzen. Ohne Ideologie will die Real-Oper den Kulturraum der Opernwelt zur Verhandlung über neue Entwürfe von Leben und Tod, Liebe und Hass als sozialtechnologisches Feld nutzbar machen.

Die Darsteller sind keine Profis: sie sind nicht gezwungen, Emotionalität künstlich herzustellen, Pathos zu machen, wo eigentlich keiner ist. Real-Oper bedeutet deshalb: nicht Pathos haben, sondern Pathos sein. An dem Ort, an dem die Real-Oper den bemühten Professionalismus hinter sich lässt, wird die Darstellung der Laien und Semi-Proessionellen zu dem was Wahrheit ist: Kunst.

Als durchkomponiertes sinfonisches Ganzes geht die Real-Oper von Richard Wagner aus. Allerdings holt sie den grünen Hügel Bayreuths in den Realraum des alltäglichen Lebens zurück. Damit ist die Real-Oper ist nicht nur voyeuristisch beäugtes Objekt der versammelten Öffentlichkeit, sondern auch Subjekt ihrer theatralen Handlung. Gleichzeitig Darstellerin und Dargestelltes, Performer und Performativ. Das setzt den Zuschauer nicht nur als produktives sondern auch wissendes Gegenüber voraus: Identitäten, Positionen, Bilder, die Konstruktionen von (Oper-)Welt werden in Frage zu stellen, Debatten über das Elend der Verhältnisse zu geführt, der passive Rezipienten zum aktiven Konsumenten vor allem dann ins rechte Licht gesetzt wenn er über den Metadiskurs verfügt und Ironie auch als mehrfach Kodiertes zu lesen in der Lage ist – so wie beim normalen Operngang auch.

Verworfen wird die ikonografisch-symbolische Zeichenwelt der Aufführungen, es gilt selbst Handelnder der Kunstproduktion zu werden!

Auf der Suche nach der verlorenen Aura des Authentischen werden Wirklichkeitsfragmente in den Kunstkontext verrückt, um dem wirklichen Publikum wieder den Blick für die wirkliche Welt zu schärfen. Zu Wort kommen Menschen, die etwas über ihr Leben erzählen. Fragmente – wie im echten Leben. Häufig auch unverständlich weil auf erklärend auktoriale Zwischentexte verzichtet wird.

Thema der Real-Oper ist dann vor allem Recherchearbeit. Die Kopie der Realität ist durch den Oper-Gestus deutlich als Manipulation gekennzeichnet.  Es entsteht eine Spannung zwischen dem Dokument und seiner Inszenierung: Performance als Recherche, unkommentierte Darstellung der Arbeit an und mit dem autobiographischen Material. Die Künstler stehen mit ihrer Arbeit in der Tradition der Oral History: Bei ihnen wird nicht interpretiert, sondern zugehört. Und der Ort der Recherche mit den Rechercheergebnissen bespielt.

Die Real-Oper agiert dann sowohl als Reflektor einer schnelllebigen Sensibilität der Kommunikationsindustrie wie auch als essentieller Antipode zu den partikularisierenden, distanzierenden Effekten moderner Massentechnologie und Lebensorganisation. Denn es ist die reale Präsenz des Performers in Echtzeit, dass diesem Medium seine zentrale Position erhält.

Oder wie eine Teilnehmerin bemerkt: es ist die billigste From Oper zu produzieren. Kunst wird hier zum politischen Prozess, zum Grenzgang zwischen Selbstausbeutung und Selbstfindung – wie im richtigen Leben.

Christopher Dell Mai 2007