Essay: Mega-City

Posted on Sep 19, 2008 in / Serial IFIT / Serial Publications

Mega-City
Christopher Dell

Ausschnitt aus dem Essay:

< Städte sind Wunder. Städte sind die Hölle. Städte sind faszinierend, bunt, vielfältig. Camus schrieb einmal, es seien die kleinen Lieben die man mit einer Stadt teilt: die Begegnungen, Geheimnisse, Winkel der Erinnerung, der Körperlichkeit, der Gerüche. Städte sind aber auch Ausdruck schierer Masse und Grösse, Orte des Kampfes um Macht, Geld, Anerkennung.

Städte sind Wunder. Städte sind diejenige historische Errungenschaft, die es den Menschen ermöglicht hat und ermöglicht, das Anwachsen von menschlicher Gemeinschaft räumlich dauerhaft zu organisieren. Städte sind auch Orte des Politischen, Orte an denen sich Menschen zu Gruppierungen zusammenfinden, Allianzen bilden, wo sie in Konflikt treten und wo sie partizipieren an einem gemeinschaftlichen Gebilde. Für Hannah Arendt wird öffenticher Raum gar erst dann politisch, wenn er in einer Stadt gesichert ist. 

Städte sind Wunder. Wunder des Beginnen-Könnens des Setzens eines Anfangs. Freiheit ist an die Gründung von Stadt geknüpft: die Verbindung von Frei-Sein und Beginnen finden wir bereits in der römischen Vorstellung, dass die Grösse der Vorfahren in der Gründung von Rom beschlossen liegt und die Freiheit der Römer stets auf diese Gründung ab urbe conditia zurückgeführt werden muss, in der ein Anfang gemacht worden ist. 

Derzeit können wir einen neuen Anfang beobachten: den Beginn des urbanen Zeitlalters, das uns vor völlig neue politische Herausforderungen stellt. Laut UN leben seit diesem Jahr erstmals mehr Menschen in den Städten als auf dem Land, bis 2025 werden es 61% sein. Die Urbanisierung der Weltbevölkerung ist dabei schneller fortgeschritten, als es der Club of Rome in seinem Bericht Die Grenzen des Wachstums 1972vorhergesagt hat. 1950 gab es weltweit 86 Städte mit einer Bevölkerung von über eine Million. Heute sind es, nach dem Bevölkerungsbericht der UN 400 und bis 2015 werden es 550 sein. 

Die dramatische Geschwindigkeitszunahme lässt sich gut an Beispielen konkretisieren: London war 1910 sieben mal grösser, als es um 1800 gewesen war. Demhingegen sind die neuen Megastädte, also Städte mit mehr als 8 Millionen Einwohnern wie Kinshasa, Dhaka oder Lagos heute vierzig mal grösser, als im Jahr 1950. Die Financial Times berichtete im Jahr 2004, dass in China in den 1980er Jahren mehr Stadtbewohner hinzukamen, als im Europa im gesamten 19. Jahrhundert. Nach Prognosen der Far Eastern Economic Review könnte allein Shanghai, dessen Wachstum unter dem kommunistischen Regime eingefroren war, bis 2025 eine Hafenmetropole von 27 Millionen Einwohnern sein. Die indische Megastadt Bombay/Mumbai rechnet mit einer Prognose eines Anstiegs auf sogar über 33 Millionen Menschen. >

 

„Mega-City“, in: H.G. Esch, City and Structure, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern.