Essay: Situationismus. Die Lust am Spektakel

Posted on Sep 22, 2010 in / Serial IFIT / Serial Publications

Situationismus
Die Lust am Spektakel

Christopher Dell

 

Ausschnitt aus dem Essay:

Kritk am Spektakel

Es ist das Verdienst der Situationisten, sowohl die handlungsorientierte wie auch die psychologische Ebene des Raums für den architektonischen Diskurs fruchtbar gemacht zu haben. So wie Herbert Marcuse die Freudsche Lehre in die Gesellschaftskritik einbezieht, hebt die Situationistische Internationale Ende der 50er Jahre auf die Psychonalayse ab und führt so das Subjekt wieder als Faktor des Raums ein. Ein Subjekt, das bedroht scheint durch die kulturindustriellen Entfremdungsformen und Verdinglichkeitsstufen. Die, wie Guy Debord sie nennt, ‚Gesellschaft des Spektakels’ verursacht, in dem sie originär-freiheitliche Begierden des Subjekts verdinglicht, instrumentalisiert und dem Konsum unterordnet, eine Verdrängung dieser revolutionären Begierden ins individuelle wie gesellschaftliche Unbewusste. Marxsche Kritik der kapitalistisch-fetischistischen Formen wird durch die Begrifflichkeit des ‚Spektakels’ auf die Höhe des Konsum- oder Kulturkapitalismus gebracht und die Gestalt des Performanzprinzips erhellt: kulturindustrielle Bilderproduktion, Bedürfnispr.formierung sowie ein Übermaß an pseudo-individuellen Lebensentwürfen, die sich nach modular-vorgefertigten Lebensstilen zusammenbasteln lassen. Dem Schein von Performanz als vorgegaukelter Realität, also entfremdeter Lebenssitutation, versuchen die Situationisten durch die Bewegung bewusster ‚Konstruktion von Situationen’ in allen Aspekten des Lebens entgegenzuwirken.

Für die Situationisten gilt die Grund-Formel Performanz = Spektakel. Durch das Spektakel wird die menschliche Fähigkeit zu kommunizieren dargeboten. Spektakel ist grundsätzlich ein Produkt unter vielen. Erst durch die Massenkultur, durch Pop, kann das Spektakel in andere industrielle Sektoren diffundieren, nämlich an dem Punkt, als Kommunikation zum essentiellen Bestandteil produktiver Kooperation wird. So wird das Spektakel zur Kraft des Performanzprinzips: als primäre produktive Kraft, die über ihre eigene Sphäre hinaus ragt und auf die Poesis im Totalen einwirkt. Eine Performanz ist dann doppelter Natur: sie ist zum einen spezifisches Produkt einer spezifischen Industrie, zum anderen Quintessenz des Modus der Produktion in ihrer Umfasstheit. Wer die Performanz oder das Spektakel präsentiert, sind die produktiven Kräfte der Gesellschaft selbst, dies umso mehr, als sie sich mit kommunikativen Kompetenzen und dem generellen Intellekt überlappen. Performanz ist durchdrungen von Möglichkeit, dem was getan werden kann. Dieses zeigt sich selbst nicht in dem Wert der Waren, also dem was Gesellschaft bereits produziert hat, sondern als Aggregat dessen, was eine Gesellschaft zukünftig zu leisten im Stande ist.

 

 

„Situationismus. Die Lust am Spektakel”, in: spacemag #2, Hamburg.