Essay: Ausgestellte Verfahren

Posted on Sep 21, 2010 in / Serial IFIT / Serial Publications

Ausschnitt aus dem Essay:

AUSGESTELLTE VERFAHREN

Vom Körper des Musikers, der Katastrophe des Unvorhersehbaren, neuen Regeln für alte Spiele und schwimmenden Zellen.

»Eigentlich wollen musizierende Kinder der Abendruhe der Familie entfliehen«, so der Jazz-Musiker und Improvisations-Theoretiker Christopher Dell. »Aber sie fliehen direkt hinein in die Ordnung der Köchelverzeichnisse.« Auch er selbst sei ein »Flüchtling aus der verwalteten Welt«, der in der Improvisation subversives Potenzial aufspürt. Während die »hochgetunte Industrialisierung« nur aus einer vorgespiegelten Planbarkeit aller Dinge und Handlungen bestehe, führe die Improvisation zu Katastrophen und könne sie also bewältigen. Sie untergräbt die Urteilskraft, denn man kann nur gut finden, was man kennt und vergleichen kann. Dennoch weist sie Strukturen auf: »Je mehr man improvisiert, desto mehr muss man sich vorbereiten.« Als Dell erstmals improvisieren musste, war er kaum in der Lage, Struktur und Form aus der Handlung zu schaffen, das Material stetig in Form zu weben. Heute hat er eine Systematik hierfür erfunden: Sein Verfahren setzt sich aus Funktion, Struktur und Form zusammen. Die Funktion entspricht dem Gebrauch, der Nutzung, der Performanz, die Struktur der kleinsten Einheit oder Regel, während die Form Ordnung oder Gestalt gibt. Damit kehrt er die Harmonielehre um, wo die Funktion der Form untergeordnet ist. In seiner Lecture »Prinzip Improvisation« geht es ihm jedoch weniger um musiktheoretische als um philosophisch-politische Aspekte von Improvisationstheorie.