Essay: Urban improv: Metaräume der Stadt

Posted on Sep 21, 2006 in / Serial IFIT / Serial Publications

Urban improv:
Metaräume der Stadt

Christopher Dell | Institut für Improvisationstechnologie Berlin

 

Ausschnitt aus dem Essay:

< Machen wir uns auf den Weg das Lesen von Stadt zur Praxis zu machen.
Architektur ist zuvorderst Praxis. Aber: es wird immer weniger gebaut. Das impliziert, dass die Architektur heute vermehrt zum theoretisieren gezwungen wird. Dieser Tatbestand hat sowohl negative als auch positive Seiten.
Eine der positiven Seiten ist, dass Praktiker neu über das mentale Modell von Architektur im allgemeinen und Stadt im besonderen nachdenken. Aus diesem Denken emergiert aktuell das, was ich als städtebauliche Wende, als urbanistic turn bezeichnen möchte. Dieses Denken erkennt an, dass das Phänomen Stadt in einen prozessualen Kontext gebettet ist, der nicht als Objekt, als abgeschlossenes Produkt interpretiert werden kann.

‘Die’ Architektur – das heißt die architektonische Produktionsweise – weist kein ihr innewohnendes Wesen auf, das sich im Verlauf der Zeit kontinuierlich entfaltet und dabei die Schranken des Vorherigen durchbricht; stattdessen wird Architektur hier als das nicht voraussagbare Ergebnis einer durch das Aufeinandertreffen von heterogenen Kräften, Vektoren bewirkten Artikulation diskreter Elemente erklärt, deren Verhältnis in der Folge andauernder Variation unterliegt; als Ergebnis mit abwesender Ur/Sache also. Architektur ist dann in einem bestimmten Raum unter bestimmten komplexen Konditionen entstanden. Ebenso wird sein Verschwinden in einer anderen Struktur, d.h. die Neuformierung seiner Elemente, das Ergebnis einer Neuartikulation sein, sei es in der Form eines Bruchs oder einer Permutation. 

Aus dieser Perspektive bedeutet die Formel Realität Bauen nicht, daß in der Lücke der Realität eine neuer und als Maschine besser funktionierender Rationalraum das Objekt des Begehrens sein könne, sondern das die kommende Praxis das Ereignis aus den Auseinandersetzungen innerhalb der Matrix der Architekturpraxen hervorgeht. Gebaute Realität stellt sich so in einer kollektiven Entscheidung her, in der weder der Adressant noch Adressat symbolisch und institutionell repräsentiert werden. Vielmehr enthält die Formel nur einen unbestimmten, immer neu zu schreibenden Auftrag, der als solcher zwischen beiden zirkuliert und eine bisher unbekannte Figur (und Form) der Gemeinschaftlichkeit und der gesellschaftlichen Solidarität herausfordert. 

Stadt wird immer komplexer wird und dadurch immer schwerer darstellbar und entzifferbar. Das erzeugt ein Interesse an einem neuen Lesen des Ortes und des Lesen dessen, was in Anerkennung der aktuellen Situation möglich ist. Wobei das aktuelle Lesen von Stadt nicht auf die  Interpretation von Zeichensystemen zu reduzieren ist, sondern als praktische Aneignung, erhandelte Erfahrung verstanden werden muss. >

 

„Urban improv: Metaräume der Stadt“, in: Europäisches Haus der Stadtkultur e.V. (Hg.), Realität [Bauen] Werkstattbericht 3, Gelsenkirchen.